Kurz nach November 1989 gründeten die Architekten Viktor Rudiš, sein Sohn Martin Rudiš und ihre Kollegen vom Brünner Stavoprojekt Aleš Jenček und Zdeňka Vydrová ein privates Atelier. Seit 1993 ist das Büro nur noch als Familienunternehmen „Rudiš-Rudiš architekti“ tätig. Die Aktivitäten des Ateliers basieren auf der früheren langfristigen Praxis von Viktor Rudiš und in ihrem Kern stehen Projekte einerseits für das Brünner Messegelände, anderseits dann größere und kleinere Wohnungshäuser und -komplexe.
Der Architekt Viktor Rudiš wurde im Juni 1927 in Brünn in die Familie eines Diplomaten geboren. Nach der Industriellen Bauschule begann er 1947 ein Architekturstudium an der Technischen Universität in Brünn. Er absolvierte 1952 die Klasse von Professor Bedřich Rozehnal. Von 1953 bis 1957 arbeitete er im Forschungsinstitut für Bau und Architektur in Brünn und seit 1958 im örtlichen Unternehmen Stavoprojekt. Die erste bedeutende Realisierung ist die Wohnsiedlung Lesná (1961–1968) am nördlichen Rand von Brünn, die er zusammen mit František Zounek und anderen Kollegen entwarf. Die Architekten gingen vom Konzept einer Gartenstadt aus und nutzten die wertvolle natürliche Lokalität der Teufelsschlucht (Čertova rokle) voll aus. Heute gilt Lesná als eine der erfolgreichsten Platten-Einheiten in unserem Land. 1967 absolvierte Rudiš ein dreimonatiges Praktikum im Pariser Studio Candilis-Josic-Woods, doch die vielversprechenden 1960er Jahre gingen zu Ende. Der tschechoslowakische Pavillon auf der EXPO ʼ70 in Osaka, Japan, den Rudiš zusammen mit Aleš Jenček und Vladimír Palla (das Libretto wurde von Jan Skácel erstellt) entwarf, wurde zu einem symbolischen Punkt hinter dem sogenannten Prager Frühling. Grundlage ihrer Lösung war eine offene Struktur mit sich wiederholenden Elementen, die das Dach des Pavillons bildeten. Der frei fließende Innenraum war nur durch einen zerbrechlichen Glasmantel vom Äußeren getrennt. Der Pavillon erhielt vom japanischen Institut für Architektur einen Sonderpreis für die architektonische Lösung.
Seit 1969 leitete Viktor Rudiš eines der Ateliers des Stavoprojekts Brno - er schuf hier einen frei denkenden Arbeitsplatz, wo sich eine Gruppe von Architekten des späteren Vereins „Obecní dům“ (Petr Hrůša, Petr Pelčák, Tomáš Rusín, Ivan Wahla, Zdeňka Vydrová) bildete. In dem neuen Stavoprojekt-Gebäude in der Kounicova-Straße, das in den Jahren 1980–1983 nach dem Entwurf von Viktor Rudiš und Aleš Jenček erbaut wurde, organisierte sein Atelier mehrere Jahre lang auch Ausstellungen dem Regime unbequemer Künstler. Rudiš und seine Kollegen entwarfen zu dieser Zeit die nicht sehr erfolgreiche Wohnsiedlung Líšeň sowie die schrittweise Renovierung des Brünner Messegeländes.
Martin Rudiš wurde 1955 in Brünn geboren. Nach seinem Studium an der Fakultät für Architektur in Brünn begann er 1983 bei den Brünner Messen und Ausstellungen (BVV) zu arbeiten. Drei Jahre später trat er in das Atelier seines Vaters im Brünner Stavoprojekt ein. Nach 1989 gründeten sie zusammen mit Kollegen eine private Firma. Zu den bedeutendsten Realisierungen aus dieser Zeit zählen das Holiday Inn Hotel in Brünn (1991–1992), das auf der Ästhetik der Spätmoderne basiert, die Zivilgebäude A1 (06-1143) (1996–1997) und A4 (06-1155) (2001) in Litomyšl oder der Wiederaufbau des Brünner Künstlerisch-industriellen Museums (zusammen mit Ivan Koleček, 1999–2001). Das Atelier Rudiš-Rudiš setzte auch die bisherige Zusammenarbeit mit den Brünner Messen fort - 1996 wurde die Rekonstruktion des Pavillons G abgeschlossen, 2003 baute Martin Rudiš einen neuen Pavillon F.
Viktor Rudiš beendete seine aktive Tätigkeit im Jahr 2003, das Atelier Rudiš-Rudiš arbeitet weiterhin erfolgreich unter der Leitung seines Sohnes Martin. Dies belegen beispielsweise fünf Familienhäuser im Wohnkomplex „Na Krutci“ in Prag (2007) oder die erfolgreiche Rekonstruktion und Fertigstellung des Observatoriums und des Planetariums auf dem Kuhberg (Kraví Hora) in Brünn (2010–2011). Die bislang größte Realisierung des Studios ist der Wohnkomplex Orion am Stadtrand von Lesná in Brünn (2007–2009), der aus drei vierzehnstöckigen Wohntürmen auf einer gemeinsamen Basis mit Garagen und einem Spielplatz besteht.
KJ
1956
Experimentelles Wohnhaus, Vinařská, Brünn-Stadt (zusammen mit František Zounek)
1961–1968
Plattenbausiedlung Lesná, Brünn-Lesná (zusammen mit František Zounek, Miroslav Dufek und Ladislav Volák)
1969–1970
Tschechoslowakischer Pavillon auf der EXPO ʼ70 in Osaka (zusammen mit Aleš Jenček und Vladimír Palla)
1973
Sporthalle TJ Tesla im Stadtviertel Lesná in Brünn (zusammen mit Dagmar Glosová und Zdeněk Musil)
1977–1982
Plattenbausiedlung Líšeň in Brünn (zusammen mit František Zounek, Vladimír Palla und Aleš Jenček)
1978
Stavoprojekt-Gebäude, Kounicova, Brünn-Stadt (zusammen mit Aleš Jenček)
1981
Wohnkolonie Homs, Syrien
1983–1985
Gebäude der Werkstätten und Rekonstruktion des Pavillons A1 auf dem Messegelände, Brünn-Stadt
1988
Rekonstruktion des Pavillons B, Messegelände, Brünn-Stadt
Miroslav Masák – Terezie Nekvindová – Markéta Pražanová, Viktor Rudiš: Ósaka, Praha 2011.
Viktor Rudiš: stavby a projekty 1953–2002, Brno 2005.