Vielleicht beeinflusste kein zeitgenössischer Architekt das Gesicht von Brünn so stark wie die ehemaligen Kommilitonen aus der Brünner Technischen Universität, die Architekten Tomáš Rusín (*1962, Ostrava) und Ivan Wahla (*1963, Český Těšín), die seit 1990 den Kern des RAW-Ateliers bilden. Der Name des Büros bezieht sich nicht nur auf die Namen der Architekten, sondern funktioniert in der englischen Übersetzung auch ein bisschen wie ein Manifest - roh, grob (in seinem natürlichen Zustand), unverdünnt…
Rusín und Wahla beteiligen sich seit den 1990er Jahren an den Aktivitäten des Vereins „Obecní dům Brno“ (Gemeindehaus Brno) und wie ihre Generationenbegleiter Aleš Burian, Gustav Křivinka, Petr Pelčák oder Petr Hrůša bekennt sich RAW offen zum Erbe der funktionalistischen Brünner Architektur. Die charakteristischen Merkmale ihrer Projekte sind einfache, aber aufwändige Formen und Dispositionen, klassische Materialien (weißer Putz, Obermauerwerk oder Stein), öffentliches Parterre, Bandfenster und der Betonung von Details. Ein weiteres Merkmal ihrer Arbeit ist der reale, städtische Charakter – man könnte auch sagen Brünner Charakter – ihrer zahlreichen Wohnblöcke, also eine Architektur, die roh im Sinne natürlicher architektonischer Qualitäten ist, aber nicht roh im Sinne einer trostlosen Umgebung.
Eine der ersten Realisierungen des Ateliers war die Rekonstruktion des Kabinetts Múz (1991), des damaligen Sitzes von dem Theater „Hadivadlo“; ein Jahrzehnt später setzten sie diese Arbeit mit dem Wiederaufbau des Alfa-Kinos (2003) fort, in das das Theater spätert umzog. Die Verbindung zur Theaterumgebung ist kein Zufall: Neben der Architektur beschäftigt sich Tomáš Rusín seit Jahrzehnten auch mit der Szenografie. Das Spektrum der Studioarbeit ist jedoch viel breiter. Im Geiste der Zwischenkriegsarchitektur umfasst es Cafés als natürliche Zentren des sozialen und kulturellen Lebens in Brünn (Café Steiner, 2002, Café Onyx, 2004, Café Platzek, 2013). Das Studio baute auch mehrere neue öffentliche Verkehrsstationen in Brünn (1999, 2006–2007) und ist auch Konzeptionist der Rekonstruktion der funktionalistischen Haltestelle auf dem Getreidemarkt – Obilní trh (2017). Mit dem Verkehr ist auch das Litomyšl-Gebäude verbunden – der Komplex des Busbahnhofs und des Supermarkts BILLA mit angrenzenden öffentlichen Räumen (06-VP2).
Die wichtigste Dominante in der Arbeit des RAW-Ateliers bildeten jedoch die Wohnhäuser, insbesondere in den letzten Jahren. Im Jahr 2008 haben Rusín und Wahla ein Wohnhaus mit einer grauen Rupfenziegelfassade an der Ecke der Straßen Kopečná und Leitnerova fertiggestellt, ein Jahr später folgte ein Haus in der Křídlovická-Straße, beide in Altbrünn. Beide Häuser gliederten sich natürlich in den alten Wohnblock des Stadtteils ein, die funktionalistische Atmosphäre der Bandfenster, Loggien, des vertieften letzten Stockwerks wird durch Hinweise auf die ältere Architektur der Pawlatschenhäuser ergänzt. Die Martinů-Residenz im Brünner Masaryk-Viertel aus dem Jahr 2013 beeindruckt durch ihre aufwändigen Grundrisse an der Grenze eines Reihenhauses und eines Wohnhauses sowie durch ihre außergewöhnlich edle Gestaltung der gemeinsamen Bereiche mit roten Travertinfliesen. Weitere Wohnhäuser in verschiedenen Teilen Brünns folgten, die Architekten kehrten mit einem kleineren Gebäude (2014) in die Kopečná-Straße zurück und fertigten 2017 Wohnhäuser in den Straßen Francouzská und Bratislavská an.
Aus der breiten Produktion des Ateliers kann man auch Lösungen für den öffentlichen Raum, sowohl in Brünn (Joštova třída, ulička Václava Havla, Zelný trh) als auch in Ostrava (Masarykovo náměstí, ulice 28. října), Jeseník (Masarykovo náměstí) oder Ždár nad Sázavou (náměstí Republiky) hervorheben. Die größte und in ihrer Form mutigste Realisierung des RAW-Ateliers ist das multifunktionale (meist administrative) Dorn-Gebäude aus dem Jahr 2016 in der Nähe des Brünner Hauptbahnhofs. Die Gestaltung des dominanten Gebäudes wird durch die Form und Orientierung des Grundstücks bestimmt, das stark durch Verkehr belastet ist, und sich auf das Erbe der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts bezieht. Zu diesen Merkmalen gehört der Grundriss aus zwei Trapezen, dramatischen Eckkonsole, aus einigen Blickwinkeln scheint es ein Bügeleisen aus anderen eine Platte zu sein, Oberziegel, ein Travertintreppenhaus.
KJ
1991
Kabinet Múz (Kabinett der Musen), Hadivadlo, Sukova 4, Brünn-Stadt
1997
Rekonstruktion des Gebäudes der Krankenversicherungsanstalt, Brünn-Cejl
1999
Endstation des öffentlichen Stadtverkehrs MHD, Brünn-Lesná
2003
Hadivadlo, Alfa-Passage, Brünn-Stadt
2003
Rekonstruktion und Fertigstellung des Kulturzentrums Semilasso, Brünn-Královo Pole (Königsfeld)
2007
Rekonstruktion des Platzes Masarykovo náměstí, Ostrava
2008
Wohnungshaus an der Ecke der Straßen Kopečná und Leitnerova, Altbrünn
2009
Wohnungshaus in der Straße Křídlovická, Altbrünn
2010
Rekonstruktion des Platzes Masarykovo náměstí, Jeseník
2011
Administratives Zentrum, Straße Hlinky, Brünn-Stadt
2012
Renovierung der Villa Tugendhat, Černopolní 45, Brünn-Stadt (zusammen mit Marek Tichý und Milan Rak im Rahmen des Verbandes für die Villa Tugendhat / Sdružení pro vilu Tugendhat)
2013
Martinů-Residenz, Straße Bohuslava Martinů, Brünn-Stadt
2014
Wohnungshaus, Straße Kopečná, Altbrünn
2015
Wohnungskomplex Kadetka, Straße Božetěchova, Brünn - Královo Pole (Königsfeld)
2015
Rekonstruktion des Platzes Zelný trh (Krautmarkt), Brünn-Stadt
2015
Rekonstruktion des Platzes náměstí Republiky in Žďár nad Sázavou
2016
Multifunktionales Objekt Dorn, Dornych, Brünn-Stadt
2017
Wohnungshaus Domino, Francouzská 69, Brünn-Stadt
2017
Multifunktionales Haus, Straße Bratislavská, Brünn-Stadt
Marcela Steinbachová (ed.), Česká architektura 2016–2017 / Czech architecture. Yearbook 2016–2017, Praha 2018, s. 32–35.
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